Fahrwerk individuell einstellen
Eine gelungene Fahrwerkseinstellung kann mit wenig Aufwand aus einem durchschnittlichen Motorrad ein individuelles Spaßgerät machen.
- Fahrwerk am Motorrad einstellen
- Die Fahrwerksgeometrie
- Einstellen der Federung
- Fahrwerk und Federung einstellen – so geht’s
- 01 – Die richtige Balance: Negativ-Federweg
- Die Fahrwerksgeometrie
- 02 – Federbasis einstellen
- 03 – Fahrwerksgeometrie variieren
- Einstellen der Dämpfung
- Tabellen Download
- 04 – Gabel-Zugstufe
- 05 – Federbein-Zugstufe
- 06 – Druckstufe und Feinabstimmung
- Fahrwerksumbau
Wie man eine undichte Gabel in Ordnung bringt, erfährst im Schraubertipp Gabeldichtringe. Schließlich noch eine Frage: Wie alt ist das Dämpferöl in deiner Gabel? Ähnlich wie Motoröl unterliegt auch Gabelöl einem gewissen Verschleiß und sollte spätestens nach vier Jahren gewechselt werden.
Fahrwerk am Motorrad einstellen
Nach unseren Erfahrungen haben sich viele Motorradfahrer noch nie um die Einstellung der Federelemente an ihrer Maschine gekümmert. Das ist schade, weil sich mit einem individuell angepassten Fahrwerk eine Menge Fahrspaß und Sicherheit realisieren lassen. Nicht umsonst sind an fast allen Motorrädern mehr oder weniger umfangreiche Einstellmöglichkeiten ab Werk vorhanden. Diese effektiv zu nutzen, erfordert weder großes handwerkliches Geschick noch besonderes Werkzeug. Nur ein aufmerksames Studium der folgenden Schritte und etwas Spaß am Ausprobieren.
Ein paar Anmerkungen vorab:
- Nicht nur die Federelemente sind fürs Fahrgefühl verantwortlich. Bevor du dich ans Einstellen der Federelemente machst, sorge dafür, dass in den Reifen der richtige Luftdruck herrscht und dass das Profil noch nicht komplett runtergerubbelt ist: Beides kann die Ergebnisse deiner Arbeit verfälschen. Auch Rad-, Lenkkopf- und Schwingenlager solltest du auf spielfreie Funktion überprüfen. Und dass Gabelstandrohre mit schmierigem Ölfilm und leckende Federbeine keine Einstellung, sondern eine Reparatur brauchen, dürfte auch klar sein.
- Die wichtigsten Werkzeuge bei Arbeiten am Fahrwerk sind Notizblock und Stift! Notiere zu Anfang unbedingt die Ausgangslage, also meist die Werkseinstellung und dann akribisch jede Veränderung, die du vornimmst. Nur so behältst du die Kontrolle über die Einstellung, kannst saubere Vergleiche anstellen und findest bei Nichtgefallen schnell zur Ausgangslage zurück. Zusätzlich können Fotos mit dem Smartphone bei der Dokumentation helfen. Außerdem solltest du bereithalten: Zollstock oder stabiles Maßband, Schraubendreher und Maulschlüssel für die Gabel, Hakenschlüssel fürs Federbein und natürlich das Fahrzeughandbuch für die Maschine.
- Wenn möglich sollte dir eine zweite Person zur Hand gehen, das erleichtert viele Arbeitsschritte enorm.
- Mache es wie die Profis auf der Rennstrecke: Gehe Schritt für Schritt vor und probieren jede Änderung im praktischen Fahrbetrieb aus. Merke: Erfahrung kommt vom Fahren!
Die Fahrwerksgeometrie
Die Fahrwerksgeometrie bestimmt, wie sich das Motorrad beim Fahren anfühlt. Die wichtigsten Parameter sind Radstand, Lenkkopfwinkel und Nachlauf (siehe Grafik: Fahrwerksgeometrie).
- Der Radstand ist der Abstand zwischen Vorder- und Hinterachse. Grob gesagt: Je kürzer der Radstand, desto wendiger das Motorrad – je länger, desto stabiler.
- Als Lenkkopfwinkel bezeichnet man den Winkel zwischen dem Lenkrohr und der Vertikalen. Der Lenkkopfwinkel bestimmt zusammen mit dem Gabelversatz den Nachlauf.
- Der Nachlauf ist der Abstand zwischen dem Punkt, an dem die gedachte Verlängerung der Lenkachse den Boden berührt und dem Aufstandspunkt des Vorderreifens. Je kürzer, desto nervöser – je länger, desto träger wird das Lenkverhalten.
Das Verhältnis dieser Parameter zueinander ist immer ein Kompromiss: Wer in Richtung Handlichkeit optimiert, muss dabei Einbußen in Sachen Stabilität in Kauf nehmen und umgekehrt. Bitte beachte, dass das Zusatzgewicht eines Sozius den Lenkkopfwinkel und den Nachlauf verändert – das Fahrwerk sollte dem Gewicht angepasst werden.
Einstellen der Federung
Die Federn tragen das Gewicht des Motorrads (und seiner Besatzung) und fangen Stöße ab. Das Einstellen der Federung dient in erster Linie dazu, das Motorrad an die individuelle Belastung durch das Gewicht von Besatzung und Gepäck anzupassen. Den Effekt kennt jeder, der schon einmal einen Beifahrer mitgenommen hat: Durch das zusätzliche Gewicht über dem Hinterrad sackt dessen Federung ein, die ganze Fuhre fühlt sich schwerfällig und unhandlich an. Mit Änderung der Federbasis (Federvorspannung) wird NICHT die Feder härter oder weicher. Vielmehr wird das Fahrzeug angehoben oder abgesenkt. So lässt sich, über die Anpassung an die Zuladung hinaus, die Geometrie und damit das Fahrverhalten beeinflussen. Bei allen Einstellarbeiten geht man am besten von der ab Werk vorgegebenen Einstellung aus. Diese findest du im Fahrzeughandbuch deiner Maschine. Dort steht auch, welche Änderungsmöglichkeiten der Hersteller überhaupt vorgesehen hat. Zumindest die Federbasis hinten sollte bei allen Maschinen variabel sein.
Fahrwerk und Federung einstellen – so geht’s
01 – Die richtige Balance: Negativ-Federweg
Bereits im Stand werden die Federn vom Gewicht der Maschine und der Zuladung zusammengedrückt. Das muss so sein, damit die Federung beim Fahren immer den Kontakt zum Boden halten kann. Das Maß dieses Einsinkens ist der Negativfederweg. Um diesen zu ermitteln misst du vorn zweimal den Abstand zwischen unterer Gabelbrücke und Staubkappe am Tauchrohr, bzw. zwischen Gabelfuß und Staubkappe an Upside-Down-Gabeln (USD). Das erste Mal bei voll entlasteter Federung (He) z. B. auf dem Hauptständer, das zweite Mal auf einer möglichst ebenen Fläche mit Beladung (Hb), d. h. mit Fahrer plus evtl. Gepäck/Sozius. Die Messungen im belasteten Zustand solltest du am besten zusammen mit einem Helfer durchführen.
Hinten misst du von der Radachse zu einem fixen Punkt am Fahrzeugheck etwa senkrecht darüber. Die jeweilige Differenz beider Werte ergibt den Negativfederweg (Fneg). Er sollte in beladenem Zustand ungefähr ein Drittel des Gesamtfederwegs (Fges) betragen. Letzteren findest du in den technischen Daten des Fahrzeughandbuchs.
Die Fahrwerksgeometrie
A: Gabelversatz
B: Nachlauf
C: Lenkkopfwinkel
D: Radstand
Lade dir die PDF-Datei runter, drucke diese aus und trage die Messwerte in eine der Tabellen ein.
02 – Federbasis einstellen
Mit den jetzt vorhandenen Messungen kannst du die Testphase beginnen. Halte dich dabei an die Bedienungsanleitung und notiere alle Änderungen in deiner Tabelle. An der Gabel änderst du die Federbasis meist beidseitig an Gewindespindeln, die du mit einem Maulschlüssel rein- oder rausdrehst. Achte darauf, dass die Einstellung an beiden Gabelholmen gleich ist.
Am Federbein legt entweder eine Rastermechanik oder eine Nutmutter mit Kontermutter die Federbasis fest. Beide werden über einen Hakenschlüssel bewegt, der meist zum serienmäßigen Bordwerkzeug gehört. Auch hier gilt bei zwei Federbeinen: immer auch gleiche Einstellung achten.
03 – Fahrwerksgeometrie variieren
Jetzt geht es darum, die für deinen Fahrstil und deine Lieblingsstrecken passende Einstellung, den richtigen Kompromiss aus Stabilität und Handlichkeit zu finden. Das heißt für dich: immer wieder das so genannte Setup ändern, die Änderungen notieren und praktisch „erfahren“ Dabei ist es sinnvoll, vorn und hinten in entgegengesetzten Richtungen zu arbeiten: Vorn tiefer – hinten höher und umgekehrt. So bleibt der Gesamtschwerpunkt auf gleicher Höhe und beeinflusst nicht zusätzlich die Reaktionen der Maschine. Die werden auch so deutlich spürbar sein: Je 10 mm rauf oder runter können aus einem handlichen ein kippeliges und aus einem stabilen ein stures Motorrad machen.
Einstellen der Dämpfung
Spezielles Öl in genau abgestimmter Viskosität bremst in der Gabel wie im Federbein das Auf und Ab der Maschine und verhindert ein Nachschwingen der Federn. Dabei unterscheidet man zwischen dem Ausfedern (Zugstufe) und dem Einfedern (Druckstufe). Wie stark der dämpfende Effekt des Öls ist, lässt sich grob gesagt über Ventile einstellen, die den Durchfluss regulieren. Ist am Federbein nur die Zugstufe einstellbar, beeinflusst deren Änderung immer auch die Druckstufe.
Als erstes musst du wissen, welche Einstellungsmöglichkeiten deine Maschine überhaupt bietet und wo die entsprechenden Stellschrauben zu finden sind. Dabei hilft natürlich wieder die Bedienungsanleitung.
Tabellen Download
Nachdem das Was und das Wo geklärt sind, kannst du dich endlich um das Wie kümmern. Auch hier solltest du unbedingt wieder unseren Tabellen nutzen, in die du, von der Werkseinstellung ausgehend alle Änderungen genau einträgst.
04 – Gabel-Zugstufe
Für die Zugstufe lässt sich schon im Stand relativ einfach eine passable Grundabstimmung finden. Dazu drückst du zunächst mit gezogener Bremse den Lenker kräftig nach unten. Die Gabel muss anschließend ohne Verzögerung zurückfedern, idealerweise etwas über der Ruhelage hinaus und wieder in diese zurück, ohne weiter nachzuschwingen. Federt sie deutlich träge aus, ist sie überdämpft, springt sie bis zum Anschlag, oder schwingt gar mehrmals nach, ist sie unterdämpft.
Wiederhole diese Übung ruhig auch mal mit komplett geschlossenen und voll geöffneten Dämpferventilen. Das gibt dir ein Gefühl für den Einstellbereich. Siehe hierzu das Diagramm (Grafik: So wirkt die Gabeldämpfung).
X Achse: Zeit in Sekunden; Y Achse: Federweg in mm; Linie A: unterdämpft, Linie B: optimal, Linie C: überdämpft,
05 – Federbein-Zugstufe
Die Zugstufe des Federbeins (bzw. der beiden Federbeine) testest du, indem du das Fahrzeugheck kräftig nach unten drückst. Das Federbein darf sich mit dem Ausfedern etwas mehr Zeit lassen als die Gabel (max. 1 Sekunde). Nachschwingen darf hier gar nichts. Auch hier solltest du den Einstellbereich checken, indem du die Übung mit geschlossener und geöffneter Dämpfung wiederholst.
06 – Druckstufe und Feinabstimmung
Jetzt hast du eine ordentliche Grundeinstellung für die Zugstufendämpfung. Für die weitere Feinabstimmung musst du auf die Straße.
Das gilt auch für die Ermittlung der optimalen Druckstufendämpfung. Auch hier kannst du natürlich die Extremeinstellungen ausprobieren: Je softer die Druckstufe, desto tiefer wird die Gabel beim Bremsen eintauchen oder das Federbein in Schlaglöchern bis zum Anschlag zusammengestaucht. Das wirkt im Normalbetrieb auf ebener Strecke schön komfortabel, aber bei flotter Kurvenfahrt auch ziemlich schwammig.
Umgekehrt sorgt eine sehr straffe Einstellung z. B. auf der Rennstrecke für stabile Schräglagen und gute Rückmeldung, lässt aber auf holprigen Landstraßen die ganze Fuhre bockig wirken und bringt schlimmstenfalls die Reifen zum Springen.
Es geht also auch bei der Dämpfung darum, den Kompromiss zu finden, der am besten zum eigenen Fahrstil, zur Beladung und zum bevorzugten Revier passt. Am besten lässt du dir damit Zeit, probierst verschiedene Varianten aus und konzentrierst dich möglichst nur auf jeweils eine Sache, also nur auf die Gabel oder nur auf die Hinterradfederung.
Fahrwerksumbau
Alle bisherigen Tipps beziehen sich auf das vorhandene Serienmaterial. Wenn diese Maßnahmen nicht ausreichen, weil z. B. die Federn einfach zu weich sind, oder weil dein Motorrad nicht genug Einstellmöglichkeiten bietet, empfiehlt sich der Austausch von Fahrwerkskomponenten gegen hochwertigeres Zubehör: Progressive Gabelfedern, Gabelöl in verschiedenen Viskositäten, so genannte Cartridge-Einsätze oder komplette Gabeln für die Front, Federbeine mit und ohne Druckstufen- oder Höheneinstellung fürs Heck. Mit diesen hochwertigen Fahrwerkskomponenten steigerst du den Wert von Fahrsicherheit, Komfort, Fahrdynamik und Handling an deinem Bike auf ein Höchstmaß.
Das Louis Technikcenter
Solltest du eine technische Frage zu deinem Motorrad haben, wende dich gerne an unser Technik-Center. Dort hat man Erfahrung, Nachschlagewerke und Adressen ohne Ende.
Bitte beachten!
Bei den Schraubertipps handelt es sich um allgemeine Vorgehensweisen, die nicht für alle Fahrzeuge oder alle einzelnen Bauteile zutreffend sein können. Die jeweiligen Gegebenheiten bei dir vor Ort können unter Umständen erheblich abweichen, daher können wir keine Gewähr für die Richtigkeit der in den Schraubertipps gemachten Angaben übernehmen.
Wir danken für dein Verständnis.
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